Vor über 20 Jahren verließ Mohammed Kadrou seine syrische Heimat. Vor kurzem hat der 46-Jährige sein eigenes Atelier für Herrenhemden und -anzüge eröffnet. Was sein Geschäft so speziell macht.
Mohamed Kadrou sitzt tief gebeugt über seiner Nähmaschine. Ein feiner blau-weiß gestreifter Baumwollstoff gleitet durch seine Finger. Daraus entsteht ein Herrenhemd. Zahlreiche bereits fertige Exemplare stapeln sich in den Regalen des geräumigen Ladens in der Cordulapassage 1 in Baden. Sie sind allesamt unter seinen Händen entstanden. Die eigene Hemdenmarke MK Kadrou des Schneiders aus Syrien ist registriert.
An Stangen hängen Anzüge aus feiner italienischer Schurwolle, die der neue Ladenmieter in Deutschland herstellen lässt. Musterbücher mit über 4000 verschiedenen Stoffen liegen besichtigungsbereit auf Tischen. «Berühren sie den mal», fordert Kadrou sein Gegenüber auf. Das feingewobene Material aus Zweifachgarn ist seidenweich. Die Haptik ist ein wichtiger Bestandteil des Einkaufserlebnisses in der Massschneiderei Kadrou. Und weil das Atelier des 46-Jährigen mitten im Raum ist, können die Kunden ihn bei seinem Präzisionshandwerk mit eigenen Augen mitverfolgen.
Kadrou verließ Syrien vor 21 Jahren
Das Schneiderhandwerk liegt Kadrou im Blut. Grossvater und Vater hatten im syrischen Aleppo eine eigene Weberei, Bruder und Onkel sind Schneider. «Ich kann mir seit der Kindheit keinen anderen Beruf vorstellen», meint Kadrou und seine dunkelbraunen Augen funkeln. 1989 eröffnete er in seiner Heimat das erste eigene Herrenhemdenatelier. Doch die Situation unter dem Assad-Regime war bereits schwierig. 1999 kam Kadrou mit einem Grossteil seiner Familie nach Deutschland und eröffnete 2004 einen Laden in Lörrach. Dieser wird mittlerweile von zwei Angestellten und seiner Schwester Goshon geleitet, während er sich um den Aufbau des neuen Herrenbekleidungsgeschäfts in der Cordulapassage bemüht.
Seine Hemden haben zwei Jahre Garantie
Etwas harzig sei die Eröffnung am 19. Mai mitten in der Corona Pandemie verlaufen. «Aber seither geht es von Tag zu Tag besser», bekundet er. Von seiner Heimat erzählt er ungern. Und schweigt sich darüber aus, warum er sie verlassen hat. «Aleppo ist kaputt, und Heimweh habe ich nur selten. Dafür bin ich schon zu lange hier. Meine Frau sagt immer, dass ich mittlerweile wie ein Europäer ticke und in der Arbeit pingeliger als mancher Deutsche oder Schweizer bin», gesteht der zweifache Vater. Er lacht. Aber seine Augen bleiben dabei ernst.
Ab 120 Franken sind seine Hemden aus der Massschneiderei Kadrou in der Cordulapassage erhältlich. Sämtliche Stoffe, die er dafür verarbeitet, bezieht er aus einer Weberei im Appenzell. Kadrou rechtfertigt den stolzen Preis: «Mit Stangenware haben meine Kreationen nichts zu tun. Ich gebe jedem Kunden zwei Jahre Garantie auf meine Arbeit», sagt der Herrenschneider und sprüht vor Leidenschaft. Seine Hände streichen sorgfältig über Knöpfe aus Perlmutt und doppelt genähte Knopflöcher.
Für seine Freunde bereitet er syrisches Nationalgericht zu
Baden habe ihm sofort gefallen, meint er. Ein Freund zeigte ihm die freien Räume in der Cordulapassage, und er erhielt von der Stadt den Zuschlag. «Ich habe gute Hoffnung in die Zukunft. Schweizer schätzen Qualität» zeigt er sich überzeugt. Als Alternative zur vielen Arbeit an der Nähmaschine macht er Taekwondo und geht schwimmen. Er habe einen großen Freundeskreis, sagt Kadrou strahlend. Und dann bereite er für seine Gäste gerne Humus zu – eines der syrischen Nationalgerichte. Ein Stück Heimat ist also doch geblieben.